Blog und News

Hier kommentiert Stefan Klager Medien-Ereignisse oder greift die kleine Geschichte am Rande auf: Kommunikative Momente oder Situationen, die wirkungsvolle oder auch fatale Folgen haben. Beispiele, die zeigen, wie Kommunikation (nicht) funktioniert.

Die meisten Beiträge werden auch im BMTD-Blog publiziert: bmtd.de/dazu-der-bmtd

Was war das, Frau Schausten und Herr Frey?

Der neue Präsident des Bundesverfassungsgerichts im ZDF-Fragengewirr

„Was nun…“ lautet das aktuelle Kreuzverhör im ZDF. Heute Abend saß Stephan Harbarth den ZDF-Journalisten Peter Frey und Bettina Schausten gegenüber. Harbarth wirkt souverän, aber auch leicht angespannt. Dadurch, dass er sitzt und seine Unterarme auf den Tisch legt, fällt sein Oberkörper leicht nach vorne – so verliert er an Präsenz. Und: Er nimmt sich dadurch jede Möglichkeit, zu gestikulieren, um das Gesagte zu betonen, zu unterstreichen.

So wirkt Harbarth eher defensiv, fast verhalten. Seine Anspannung scheint sich zu steigern, als er die ersten Fragen hört. Seine Antworten sind eher kurz und ausweichend, in der ersten Hälfte des Interviews fast unkonkret. Woran liegt das? Gut, er arbeitet eher im Verborgenen, steht selten im medialen Rampenlicht, aber es liegt – genau betrachtet - gar nicht daran, dass er diese Medienpräsenz nicht mag; es liegt daran - so vermute ich –, dass er sich über die Fragen wundert. Und das zu Recht.

Die beiden stellen Fragen, die sie an jeden Politiker hätten richten können: Thema Corona: Dürfen Bildungsentzug und das Abschotten von Senioren sein? Ist die immense Neuverschuldung der jungen Generation zuzumuten? Thema Krawalle in Stuttgart: Frust oder Verrohung der Gesellschaft? Thema Fleischskandal: Muss Clemens Tönnies zur Verantwortung gezogen werden?

These: Stephan Harbarth hätte sagen wollen: „Es gibt Gewaltenteilung, Frau Schausten!“ oder „Wir unterscheiden zwischen der Legislativen und der Judikativen, Herr Frey.“ Was soll ein gerade berufener Präsident des höchsten deutschen Gerichts dazu sagen? Solche Fragen können in der Tat verunsichern, denn seine persönliche Meinung ist nicht relevant. Ein Richter entscheidet am Ende eines Verfahrens; er spricht Recht nach Faktenlage. Unabhängig. Wie soll er in den nächsten 10 Jahren glaubwürdig Grundsatzurteile fällen, wenn er heute, am Tag seiner Ernennung durch den Bundespräsidenten, bei Schausten und Frey lustig über alle gerade aktuellen Themen räsoniert?

Fazit: Die Antworten konnten nicht besser sein, weil die Fragen nicht auf den Gesprächspartner zugeschnitten waren – da half auch nicht der Verweis aufs Grundgesetz, der immer wieder in die Fragen eingebaut wurde. Das waren gute Fragen für die Kanzlerin oder den Vizekanzler, aber nicht für den höchsten Richter des Staates.

Als es dann endlich um „seine“ Themen geht, blüht der bis dahin fahl wirkende Harbarth auf, lächelt sogar, wirkt gelöst und plötzlich nahbar und sympathisch. Er besticht durch glasklare Formulierungen. Selbst als ihm Befangenheit unterstellt wird, brilliert Harbarth: Ja, er war Anwalt einer großen Sozietät, das mache ihn aber nicht zu einem weniger guten Verfassungshüter. Und er schreibt Frey ins Stammbuch: Es wäre das Ende eines Rechtsstaats, wenn das höchste deutsche Gericht dem EuGH nicht widersprechen würde, nur um EU-Kritikern wie Orban das politische Wasser abzugraben.

Unabhängig von „Was nun, Herr Harbarth?“: Was tun, wenn Interviewer die „falschen“ Fragen stellen? Meine Empfehlung: Nicht ganz so viel Rücksicht auf Journalisten nehmen, so geraten Sie weniger in die Bredouille. Denn der negative Eindruck des „in die Enge Getriebenen“ bleibt beim Publikum haften; die Fragen aber werden vom Zuschauer „hingenommen“ und nicht hinterfragt.

Insofern eher charmant in die Offensive gehen. Beispiel: „Ich bin ja Richter und kein Politiker, wie Sie wissen. Deshalb ist meine persönliche Meinung bei meiner Arbeit nicht relevant. Womit ich mich als Richter zu beschäftigen habe, sind Klagen, die wir als Gericht verhandeln.“ Und tatsächlich: In etwa so reagiert Harbath auch in den letzten Minuten des Interviews: selbstbewusst und meinungsstark, aber erst als er sich „freigeschwommen“ und sich die Fragen so zurechtlegt hat, dass er sie aus seiner Funktion heraus beantwortet. Kurve gekriegt und gut gekontert, Herr Harbarth.

Das Video zur Sendung finden Sie auf der ZDF-Facebookseite.

Kommunikation mit KI

KI = „Kann Irritieren“? Oder: Die Crux mit den Bots

Früher, als ich bei Fernsehsendern gearbeitet habe, lautete die Maxime: Nicht auf dem Sender üben! Das, was gesendet wurde, musste redaktionell und produktionstechnisch optimal sein. Alles braucht einen gewissen Grad an Professionalität – erst dann ist es gut genug, um gesendet zu werden. Das Publikum, sprich der Kunde, erwartet zu Recht das Optimum.

Von solchen Idealbildern scheint sich der Paketdienstleister HERMES nicht leiten zu lassen. Heute gehört der Einsatz künstlicher Intelligenz zum Marketing-Werkzeug vieler Unternehmen. Bots helfen zum Beispiel bei Online-Dienstleistungen. Auch der Paketzusteller Hermes setzt solche KI ein, wenn es darum geht, den Kunden zu unterstützen. Folgender Dialog allerdings macht stutzig.


Danke fürs „Gespräch“! Bo versteht mich nicht, weil ich „Paketwurde nicht abgeholt“ geschrieben habe statt „Paket wurde nicht abgeholt“. Aha! Dass Bo meine unflätige Bemerkung zu übergehen scheint, könnte schon fast als charmant eingestuft werden. „Könnte“ und „fast“ – also eigentlich nicht.

Ich sprach „mit Bo, dein ServiceBot“. Der KI ist offenbar auch noch der Dativ abhandengekommen. Schade eigentlich. Hermes, den Bot lieber nicht beim Kunden testen. Besser vorher! Sonst ist die Verzweiflung beim Kunden größer als der Nutzen.

Übrigens: Das Paket wurde immer noch nicht abgeholt.

VW, bitte mal eine Videobotschaft ohne Teleprompter

Warum es fatal sein kann, Texte zu lesen statt zu sprechen


Auch Claus Kleber hat allabendlich im „heute journal“ (ZDF) Probleme, wenn er seine Texte vom Prompter liest und sich allzu oft verhaspelt. Sei´s drum. Er zählt halt zu den wenigen Profi-Moderatoren, denen es schwerfällt, mit diesem technischen Gerät umzugehen; dem Gerät, das die Texte in die Kamera spiegelt, damit der Moderator konstant in die Kamera gucken und somit den Blickkontakt zum Zuschauer halten kann.

Für Fernsehprofis vor der Kamera ist der Prompter gut und wichtig, ja, notwendig, weil einfach zu viele Informationen transportiert werden müssen. Doch solche Prompter stehen auch in den Kommunikationsabteilungen großer Konzerne. Vorstände sollen ihre Botschaften im geschützten Raum formulieren, nein ablesen – von einem solchen Prompter nämlich.

Dass VW vor Jahren bereits für die Mutter aller Prompter-Negativbeispiele gesorgt hat, als der frühere VW-Chef Winterkorn seine Diesel-Skandal-Botschaft ablas, ist hinlänglich bekannt, aber – und das ist das eigentlich Erschreckende – der Konzern hat aus diesem Kommunikationsdesaster nichts gelernt, denn der Teleprompter für Vorstände ist immer noch nicht aus der Kommunikationszentrale verbannt.

Jüngstes Opfer: Hiltrud Werner, die - wie es in dem Bericht in der Hauptausgabe der „tagesschau“ vom 24. September 2019 heißt – „für die gute Unternehmensführung zuständige Vorstandsfrau“ starrt in die Kamera wie das berühmte Kaninchen in die Augen der noch berühmteren Schlange. Um was zu sagen? Um zu sagen, nein, um abzulesen: „Die Vorwürfe sind unbegründet. Die Volkswagen AG ist dementsprechend weiterhin der festen Überzeugung, alle kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten erfüllt zu haben.“ (Es geht um die aktuellen Anklagen gegen die Herren Diess, Pötsch und Winterkorn.)

Das Video startet mit dem VW-Thema bei 06:34, auch wenn das Vorschaubild etwas anderes ankündigt

Erstens: Braucht es dafür eine Videobotschaft?

Das ist doch nicht kompliziert! Das lässt sich auch direkt in die Mikrofone der Journalisten sagen. Ok, bei einer Pressekonferenz werden Nachfragen gestellt, aber das ist ein anderes Thema. Auch das lässt sich regeln. Jedenfalls wäre ein klassisches Presse-Statement authentischer, zugewandter, offener und letztlich imagefördernder gewesen. Wohlgemerkt: Auch wenn der Inhalt der Botschaft kein anderer ist.

Zweitens: WENN Videobotschaft – warum dann mit Teleprompter?

Wer nicht gelernt hat, Texte in der Spiegelung abzulesen, der sollte es lassen. Hiltrud Werner hat es definitiv nicht gelernt. Genau so wenig wie damals Martin Winterkorn. Das Statement wirkt statisch, kaum empathisch, wenig lebendig und völlig undynamisch. Kurz um: Einfach schlecht! Diese Botschaft versandet, kommt nicht an. Jeder Zuschauer spürt, dass Hiltrud Werner gekünstelt wirkt und während der Zuschauer darüber nachdenkt, was ihn stört, ist es auch schon vorbei. WAS hat sie gesagt? Verpasste Chance.

Drittens: Wenn Videobotschaft mit Teleprompter:

Warum nehmen sich die Kommunikationsprofis mit der „Vorstandsfrau für gute Unternehmensführung“ dann nicht so viel Zeit, dass die Videobotschaft nicht nur als Video produziert wird, sondern auch als Botschaft ankommt!?

Das Problem nämlich besteht darin, dass die Entfernung zwischen Kamera und Statementgeber relativ groß sein muss. Der vorbereitete Text wird vor die Linse der Kamera gespiegelt. Aufgrund der Distanz muss die Schrift sehr groß sein. Dies hat zur Folge, dass in einer Zeile maximal 20 Zeichen stehen. Dadurch wird die Lesbarkeit sehr schlecht.

Wir sind nicht gewohnt, so schmale Fließtexte zu lesen. Das Auge springt – beim Buch zum Beispiel - innerhalb einer Zeile von Wort zu Wort. Beim Prompter muss das Auge aber von Zeile zu Zeile springen. Dazukommt: Nur vier bis fünf Zeilen sind gleichzeitig zu sehen. Und: Der Text rollt von unten nach oben. Dies erzeugt das Gefühl, sich beeilen zu müssen. Summa summarum: Höchste Konzentration wird auf das Lesen des Textes im Prompter gerichtet. Fatale Folge: Die Konzentration aufs Inhaltliche geht nahezu komplett verloren. Der Funke der Botschaft kann nicht überspringen.

Das Learning für alle: Formuliere deine Botschaft in freier Rede – und möglichst mit Leidenschaft, aber wenigstens mit Überzeugungskraft. Nie mit Teleprompter. Dann kann Kommunikation gelingen.
Mit Teleprompter verkommt die Botschaft zur Farce und der Kommunikator läuft Gefahr, gar nicht verstanden zu werden, schlimmstenfalls wird er zur Lachnummer.

Übrigens: Der Zuschauer erkennt bei Ungeübten das Prompterlesen nicht nur an dem starren Blick, sondern auch an den Pupillen. Sie springen hektisch von links nach rechts und von Zeile zu Zeile.

Zur Veranschaulichung der Text, den Hiltrud Werner „dank“ Prompter von unten nach oben rollend so erfassen musste:


Auch wenn ein Interview schief geht, ist noch ´was zu retten

Beim Umgang mit dem „Danach“ zeigt sich der wahre Kommunikationsprofi

Inzwischen liegt das fatal verlaufene Interview zwischen DFB-Präsident Grindel und Florian Bauer, der das Gespräch im Auftrag der Deutschen Welle führte, einige Tage zurück. Schlagzeilen wie „DFB-Chef rastet aus“ oder „DFB-Boss sorgt für Eklat“ sind passé. Folglich ist der Wirbel um das von Grindel abgebrochene Interview schon längst „kalter Kaffee“. Manchmal kommt es allerdings darauf an, was mit dem kaltgewordenen Kaffee passiert. Wird er stehen gelassen, abserviert? Wenn ja – in welcher Form? Elegant oder bleibt er noch Tage unangetastet stehen, bis er Schimmel ansetzt und alles unappetitlich wird?

Auf Grindels Entgleisung bezogen ist die Frage interessant: Wie geht Grindel als Verursacher des Eklats mit dem zerbrochenen Porzellan um? Antwort: Gar nicht! Zumindest bis dato. Der Zeitpunkt, um noch etwas zu retten, ist inzwischen verstrichen. Die Tasse bleibt zerdeppert und an den Scherben wird Grindel sich vielleicht in Zukunft noch verletzen.

Kurzer Blick zurück: Florian Bauer führt ein Interview mit DFB-Präsident Grindel. Es geht um die umstrittene Klub-WM, aber auch um einige andere Themen, die zwar nicht zu den Lieblingsthemen des Herrn Grindel zählen, die aber auf der aktuellen sportpolitischen Agenda stehen. Fragen, die gestellt werden sollten. Fragen, mit denen zu rechnen ist. Grindel möchte nur wohlfeile Fragen hören; er insistiert im laufenden Interview, dass andere Fragen gestellt werden sollen. Schließlich sei das ja im Vorfeld anders besprochen worden. Nach einem verbalen Gerangel, weigert sich Grindel zu antworten, steht auf und verlässt den Raum. Abbruch eines Interviews. Grund: Die Fragen waren nicht genehm.

Dass der Befragte seine Antworten bestimmen kann, aber nicht die Fragen, liegt zwar auf der Hand, scheint der DFB-Präsident und frühere ZDF-Reporter aber wohl verdrängt zu haben. Doch dies soll hier gar nicht das Thema sein. Hier geht es vielmehr um die Frage nach dem „Danach“. Ich unterstelle Grindel Positives und gehe davon aus, dass er nur kurz nach seinem „Ausraster“ eingesehen haben wird: Das Verhalten war nicht nur nicht geschickt, sondern auch unhöflich und alles andere als wertschätzend.

Was, wenn ich mich verrenne, wenn ich (zu spät) erkenne, dass ich mich als Interviewpartner in der Öffentlichkeit blamiert habe, dass ich die Institution, der ich vorstehe, Schaden zufüge? Schweigen? Sicherlich nicht.

Nach dem abgebrochenen Interview gab es Medienanfragen an den DFB: Ob er - oder Grindel selbst - Stellung nehmen wolle? Keine Reaktion. Das heißt, die Medien haben noch goldene Brücken gebaut, doch über eine solche nicht zu gehen, zeugt von Überheblichkeit. Im besten Fall zeugt dies aber auch für das Eingeständnis, einen kommunikativen Fehler begangen zu haben.
Und was ist dann zu tun? In die Offensive gehen!
Ja, öffentlich eingestehen, dass er sich von den Fragen provoziert fühlte, was nicht hätte sein sollen, denn es waren Fragen, die im Raume stehen. Damit hätte Grindel Größe und Kommunikationsfähigkeit bewiesen.
Selbst Profis dürfen Fehler machen; keiner ist unfehlbar. Aber dann die Kurve zu bekommen und sich im weitesten Sinne für das Fehlverhalten zu entschuldigen, wäre angeraten gewesen. Für Verständnis werben in der Öffentlichkeit und um Verzeihung bei Florian Bauer zu bitten. Das wär´s gewesen. Und so? Vertane Chance, Herr Grindel. Das an den Tag gelegte Verhalten lässt den Verdacht wachsen, dass der DFB alles sein möchte, nur nicht transparent, offen, ehrlich und sympathisch.

Hier (oder oben in diesem Artikel) finden Sie den relevanten Teil des Videos.

Nicht aufregen, Herr Löw!

Unzureichende Kommunikation ist auch keine Lösung

Erst mal wolle er nachdenken, sagt der Trainer der Fußball-Nationalmannschaft. Dann denkt er nach und kommt zu dem Schluss: Er bleibt Bundestrainer trotz des historisch schlechten Abschneidens seiner Mannschaft bei der WM. Er wird seinen Vertrag erfüllen. Aha, und was wird sich wann wie ändern? Keine Ahnung. Joachim Löw taucht erst mal unter. Urlaub machen. Einerseits verständlich, aber es stehen zu viele ungeklärte Dinge im Raum.

Was ist schiefgelaufen bei der Vorbeitung auf das WM-Turnier - und auch während der WM? Stimmt es, dass ein Riss zwischen den jungen Spielern und den Altstars entstanden ist? Wenn ja: Warum hat das Trainerteam das nicht verhindert? Löw schweigt. Warum durfte Mesut Özil selbst entscheiden, an dem Medientag nicht teilzunehmen? Löw schweigt. Stimmt es, dass Toni Kroos während der WM wegen einer Kino-Produktion von einem Film-Team begleitet wurde? Gerüchte, die Substanz zu haben scheinen, denn a) kommen sie von Insidern und b) äußert sich der DFB nicht dazu. Auch Löw schweigt. Macht erst mal Urlaub.

So sehr dem Bundestrainer sein Urlaub zu gönnen ist, in Sachen Krisenkommunikation hat der DFB - vor allem aber Joachim Löw - versagt. Abtauchen. Wegducken. Das sind die schlechtesten Berater, um Imageschaden abzuwenden. Ehrliche, gradlinige und zeitnahe Kommunikation nach oder in der Krise sind stattdessen gefragt.

Was passiert in der Wartezeit? Die Medien vergessen die drängenden Fragen? Weit gefehlt. Das Gegenteil wird der Fall sein. Die Fragen werden ein paar Wochen später bohrender und gnadenloser sein. Warum? Weil die Öffentlickeit eine faire Kommunikation - siehe oben - erwarten darf. Das Publikum erwartet zu Recht Erklärungen für das, was passiert ist - auch Aufarbeitung genannt - und Antworten, wie es nach Löws Vorstellungen mit der deutschen Nationalmannschaft weitergehen soll.

Diese Fragen werden nach dem Wiederauftauchen harscher sein denn je. Nicht mehr in Watte gepackt. Und dass das so ist, hat mit dem Verhalten Löws in der Krise zu tun: Erst mal abtauchen. Nein, Löw muss jetzt noch keine fertigen Lösungen präsentieren. Aber er hätte kurz nach der WM Bereitschaft zeigen sollen, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Er taucht ab - und verspielt damit einen großen Teil seines (langsam schwindenden) Kredits. Nicht aufregen, Herr Löw, wenn die Medien demnächst nicht mehr so weichgespült reagieren. Das liegt dann einzig und allein an Ihrem schlechten Krisenmanagement, das Parallelen zum Auftreten der Mannschaft zeigt: Eigene Verteidigung instabil. Fehlender Drang, in die Offensive zu gehen. Ideenreichtum sowie Kreativität nicht sichtbar.

Weltklasse nach dem Spiel

Die Reaktionen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach dem frühen WM-Aus

Fußball-Deutschland ist geschockt. Der Weltmeister beendet die WM 2018 abgeschlagen auf dem letzten Gruppenplatz in der Vorrunde. Die meisten sind sich einig: Das war ein trauriges Gekicke. Das Ausscheiden war folgerichtig, nach dem, was auf dem Platz passiert ist, oder besser: nicht passiert ist.

Und was ist nach dem Abpfiff los? Da laufen die Ex-Weltmeister zur Hochform auf – und zwar in der Disziplin, die kaum einem Fußballspieler liegt: Das Interview danach. Hier brillieren sie, egal ob Mats Hummels, Manuel Neuer, Samy Khedira oder Thomas Müller: Sie finden glasklare Worte, gehen in die harte Analyse und sparen nicht an Selbstkritik. Da heißt es „Unsere Bereitschaft war nicht groß genug.“ (Neuer), „fahren verdient nach Hause“ (Kroos) oder „peinliche Vorstellung“ (Müller). Keiner schiebt es auf die Sommerhitze in Kasan, keiner versucht eigene Schwäche mit Fehlern beim Gegner zu erklären, keiner sucht Ausflüchte. Auch Mimik und Gestik sprechen eine klare Sprache: Die Jungs sind tief enttäuscht. Von sich selbst. Und sie formulieren es auch so. Authentisch.

Dieser ehrliche Umgang mit einem schwierigen Thema schafft Authentizität und Glaubwürdigkeit. Es wirkt entwaffnend. Alle Interviews, die direkt nach dem historischen WM-Aus einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft geführt werden sind alles andere als stichelig, attackierend oder angreifend. Egal ob Field-Reporter oder die Moderatoren im Studio – sie führen die Interviews „leise“, fast mitfühlend. Und dass diese kommunikative Deeskalation gelingt, liegt an dem authentischen Auftreten der Spieler in den Interviews. Das könnte die Gemüter beruhigen, weil jeder sieht: Die Mannschaft weiß, dass sie Bockmist gebaut hat – und die Spieler sind bereit, die Konsequenzen zu tragen. Selten wird so oft formuliert: „Ich übernehme die Verantwortung.“ Das ist stark und hat seine Wirkung auf die Fangemeinde. Fußball-Deutschland ist enttäuscht, aber nicht überaus wütend. Danke, Jungs, das war weltmeisterlich – wenn auch nicht auf dem Platz so zumindest in der Kommunikation. Und davon können viele Top-Manager lernen. Ehrlichkeit und Authentizität wirken nachhaltiger als das Zünden von Nebelkerzen und der Versuch, von eigenem suboptimalem Verhalten abzulenken.

Der ARD-Presseclub: Spannendes Thema – langweiliger Talk

Nicht nur WAS, sondern WIE kommuniziert wird, ist entscheidend

„Chaos oder Strategie – wohin steuert Deutschland in der Flüchtlingspolitik?“ So der Titel der aktuellen Sendung „ARD-Presseclub“. Spannendes Thema für dieses Format, in der Journalisten die Diskutanten sind. Vielversprechend vor dem Hintergrund des sog. Masterplans von Bundesinnenminister Seehofer und im Schatten des aktuellen Skandals um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wer bis zum Schluss durchgehalten hat, ist enttäuscht: Es gab Diskutanten, die sich in vielen Details verloren, und einen Moderator, der sehr darauf achtet, dass keiner zu lange spricht, aber dadurch verhindert, dass eine lebhafte Diskussion in Gang kommt.

Volker Herres scheint in dieser Sendung das „1 x 1“ vergessen zu haben, wie eine Diskussion zu führen ist. Immer wieder grätscht er in die Ausführungen seiner Gäste. Ja, das ist durchaus sein Recht als Leiter der Gesprächsrunde, aber die Art wie er das tut, wirkt brutal und wenig wertschätzend: Ohne freundlich und bestimmt zu signalisieren, dass ihm das Statement zu ausufernd wird, erhebt er mitten im Satz einer gerade ausgeführten Antwort laut die Stimme und stellt einem anderen Gast eine Frage. Das ist schroff und wirkt unhöflich. Er nutzt ein legitimes Mittel, nämlich das des Unterbrechens, allerdings nicht im Sinne eines verbindlichen Diskussionsleiters. Das stößt den, der unterbrochen wird, vor den Kopf, aber auch den Zuschauer.

Herres ist inhaltlich gut vorbereitet. Zu gut. Denn er prügelt seine vorbereiteten Fragen durch. Zu selten greift er das Gesagte auf, um zu einem weiteren Aspekt überzuleiten. So kommt keine wirkliche Diskussion zustande. Stattdessen werden einzelne Fragen abgearbeitet und brav beantwortet.

Auch die Körpersprache von Herres wirkt oft deplatziert: So stemmt er zum Beispiel seine linke Handinnenfläche auf die Stuhllehne, so dass der Ellbogen nach außen ragt. Als wolle er sich aufplustern, größer machen als er ist. Das wirkt arrogant und überheblich. Häufig guckt er seinen Gesprächspartner bei der Beantwortung der Frage nicht an. Der Blick geht stattdessen ins Leere. Dies sieht so aus, als höre er nicht zu.
Viele Kleinigkeiten, die aber in der Summe dazu führen, dass ich der Diskussion nur ungern folge. Kaum ein Zuschauer wird diese Sendung analysieren und sich bewusst machen, warum er die Diskussion als „nicht prickelnd“ wahrnimmt. Und es sind genau diese vielen Details, die zwar nichts mit Inhalten zu tun haben, aber der Zuschauer unbewusst registriert und bewertet.

Die etwas rüde Gesprächsführung hat auch zur Folge, dass der Zuschauer den Eindruck gewinnt, selbst die Mitdiskutanten würden lieber woanders sein als in dieser Runde sitzen. Das heißt, allein schon wie ein Moderator ein Thema einführt, ist verantwortlich für die Gesprächsatmosphäre. Ob er also ernst, verkniffen und schwerfällig ins Thema einsteigt oder so, dass jeder Lust aufs Thema bekommt, Spannung aufgebaut und Interesse geweckt wird.

Wolfgang Bok, freier Journalist und Politikwissenschaftler, kommt ruhig und gelassen ´rüber. Er hatte sich offensichtlich vorgenommen, seine Themen zu platzieren wie: „Die Flüchtlinge bekommen zu viel Geld und haben auch zu viele Möglichkeiten, ihr Recht einzuklagen“. Keiner muss diese Meinung teilen, aber er formuliert verständlich. Seine Botschaften bleiben hängen.

Von Gudula Geuther, Deutschlandfunk, wird in Erinnerung bleiben, dass sie weiß wovon sie spricht: analytisch und kompetent. Aber sie bringt zu viele Details ins Spiel, was zur Folge hat, dass sie die Zuschauer verliert; die wenigsten werden wirklich verstehen, was sie sagen will.

Albrecht von Lucke , Blätter für deutsche und internationale Politik, ist eloquent, spricht allerdings viel zu schnell und führt seine Gedanken nicht geradlinig aus; stattdessen verzettelt er sich, indem er immer wieder Nebensätze und Nebengedanken einschiebt.

Elisabeth Niejahr, Wirtschaftswoche, artikuliert klar und verständlich, hat aber in der Körpersprache und Mimik zu wenig Ausdruck. Das, was gesagt wird, ließe sich durch authentische Gestik und Mimik optimal unterstreichen. Die Aussagen bekämen so mehr Gewicht. Sie jedoch verliert oft den Augenkontakt mit dem Moderator, dem sie ja antwortet. Dies wirkt fahrig, obwohl sie inhaltlich strukturiert argumentiert.

Alle Beteiligten haben unbestritten ihre inhaltlichen Kompetenzen – dennoch transportiert die Runde Langeweile – und die entsteht auch ganz unabhängig von Inhaltlichem. Die Langeweile resultiert daraus, dass kein wirklicher Austausch stattfindet, dass die Leitung der Gesprächsrunde uninspiriert ist und dass es viele verquaste Formulierungen gibt – bei einem ohnehin komplexen Thema.

Volker Herres, der gute Vorbereiter, bedankt sich am Ende der Sendung für die „lebhafte Diskussion“ – auch diese Formulierung hatte er sich vorher zurechtgelegt, denn die Diskussion war, von einem Geplänkel abgesehen, alles – nur nicht lebhaft.

Link zur Sendung: https://www.ardmediathek.de/tv/Presseclub/Chaos-oder-Strategie-wohin-steuert-Deu/Das-Erste/Video?bcastId=311790&documentId=52718646

Vertrieb hat mit Vertreiben zu tun

Beobachtungen in einem Autohaus – das 1 x 1 des Verkaufsgesprächs

Jeder kommuniziert. Jeden Tag. Und in diesem Blogs analysieren BMTD-Mitglieder meistens offizielle mediale Ereignisse: Statements, Interviews, Pressekonferenzen u.v.a.m. Aber auch in der Alltagswelt des Business wird kommuniziert – und manchmal mittels guter Kommunikation auch verkauft. Manchmal aber auch – buchstäblich - vertrieben.

Ich betrete die Filiale eines namhaften Automobilherstellers. Abteilung Verkauf. Zwischen den ausgestellten Automodellen sind die Schreibtische der Verkäufer platziert – und so werde ich unfreiwillig Ohrenzeuge eines Verkaufstelefonats.

Laut und leicht aggressiv: „Nein, Sie verstehen das einfach nicht…“ – Subtext in den Ohren des Gesprächspartners, sprich Kunden, am anderen Ende der Leitung. „Mensch, Kunde, du bist echt zu blöd.“ Will er das wohl hören? Kommt fast einer Beleidigung gleich.

„… wenn wir Ihnen diese Finanzierung empfehlen, dann können Sie davon ausgehen, dass die auf seriösen Füßen steht.“ Hier ignoriert der Verkäufer, dass es nicht darum geht, jemanden zu überreden, sondern zu überzeugen – und zwar durch inhaltliche Argumente, nicht durch Behauptungen.

Während einer kurzen Phase des Zuhörens signalisiert der Verkäufer einem Kollegen, dass er eine Zigarette haben möchte. Er geht davon aus, dass sein Gesprächspartner dies nicht bemerkt, weil er es nicht sieht. Falsch! Es ist hörbar, ob jemand dem Gespräch konzentriert folgt oder nicht. Und wenige Sekunden später tappt der Vertriebler tatsächlich in die Falle. Die hinübergereichte Zigarette lenkt ihn offenbar ab, denn er muss nachfragen: „Wie bitte? Ich hab Sie gerade nicht verstanden…“

Er läuft wie ein Tiger im Käfig vor seinem Schreibtisch auf und ab und spricht immer schneller. Seine Stimme verrät, dass er von dem Kunden genervt ist. Dann lässt er sich – immer noch telefonierend - in seinen Schreibtischstuhl fallen, die Rückenlehne dynamisch nach hinten gleiten; er legt die Füße hoch. Die Zigarette im Mund, ohne dass er sie anzündet. Die behält er auch im Mundwinkel, während er gelangweilt eine Frage beantwortet. Offenbar versteht ihn der Kunde akustisch nicht. Der Verkäufer nimmt die Zigarette aus dem Mund und spricht besonders laut und überartikuliert.
Endlich ist das Telefonat beendet. Der Verkäufer hat sein Ziel nicht erreicht – welch´ Wunder! Der Kunde bleibt sicherlich unzufrieden zurück. Die Wahrscheinlichkeit, dass er den Leasingvertrag unterschreiben wird, tendiert gegen Null. Warum? Das liegt auf der Hand: Der Verkäufer hat nichts von dem befolgt, was ihm (hoffentlich) in Kommunikationsschulungen beigebracht wurde: Zunächst mal körperlich vernünftig kommunizieren. Denn natürlich hört man auch am Telefon, ob jemand aufrecht, ruhig und in gutem Kontakt am anderen Ende der Leitung ist. Oder ob jemand sich in seinen Bürostuhl fläzt bzw. hektisch herumläuft. Ebenso wichtig: Starke Anker setzen, also Botschaften, die den Kunden erreichen. Empathisch auf die Vorbehalte des Kunden eingehen, ihn mit seinen Befürchtungen ernst nehmen und - falls möglich - ihm die Skepsis nehmen. Vertrauen gewinnen. Und vor allem: Authentisch und freundlich sein – nicht nur künstlich antrainiert freundlich tun.

Der letzte Akt: Unmittelbar nach dem Ende des Telefonats ruft der Verkäufer seinem Kollegen quer durch den Verkaufsraum zu: „Was denkt der sich denn? Der hat doch wohl ´nen Knall!“ Während die beiden laut lamentierend an mir vorbeigehen, spricht mich ein anderer Mitarbeiter des Autohauses an und fragt nach meinen Wünschen. „Nein, danke, hat sich erledigt“, sage ich, drehe mich um und gehe.

Vertrieb hat also – wenn es schlecht läuft - tatsächlich mit Vertreiben zu tun.

Wahl-Blog 2017: 3:0 für Schulz

Das TV-Duell der Kanzlerkandidaten mit vielen Überraschungsmomenten

Kanzlerin sein ist kein Kindergeburtstag. Auch der Tag der offenen Tür im Kanzleramt ist es nicht: Gefühlte 2677 Selfies mit Besuchern, die auch Wähler sein könnten. CDU-Kanzlerin Merkel hat schon einen trubeligen Tag hinter sich, als sie zum ZDF-Sommerinterview auf Bettina Schausten trifft. Dank des magenta-farbenen Blazers wirkt sie nicht ganz so erschöpft, wie sie nach einem solchen Tag vermutlich ist.

Die Bundestagswahl scheint gelaufen, die Umfragen sehen seit Wochen Kanzlerin Merkel (CDU) vorne und den Herausforderer Martin Schulz (SPD) weit abgeschlagen dahinter. Möglicherweise ist der gestrige 3. September der Wendepunkt. 20.15 Uhr, das 90-minütige TV-Duell: Die beiden Spitzenpolitiker ihrer Parteien stellen sich Fragen der Moderatorinnen (ARD und ZDF) und Moderatoren (RTL und SAT.1).

Das Duell nimmt gleich zu Beginn Fahrt auf. Es gibt kein langes Vorgeplänkel, die Fragen werden zügig gestellt. Schulz ist darauf besser vorbereitet als Merkel. Er nimmt den Schlagabtausch auf, antwortet schnell, inhaltlich präzise, aber die Anspannung ist ihm anzumerken: Er ist sehr kurzatmig; statt ruhig zu atmen, atmet er flach, was dazu führt, dass ihm die Luft mitten im Satz wegbleibt. Auch seine Mimik verrät Nervosität.

Merkel scheint der Fragestil nicht zu behagen. Ihre sonst so gelassene Art lässt sie vermissen; auch ihren Stil, Zusammenhänge geduldig zu erklären. Sie wirkt nervös, was sich darin äußert, dass sie schneller als sonst spricht; sie verhaspelt sich ungewöhnlich oft und formuliert längst nicht so präzise wie Schulz. Bei ihm legt sich die Anspannung nach 20 Minuten. Er arrangiert sich wesentlich schneller mit dem Fragen-Staccato in der sterilen Studio-Situation; er platziert seine Botschaften. Er punktet, indem er Merkel, aber vor allem den Zuschauern deutlich macht, dass seine Politik sich von der Merkels deutlich unterscheidet. Beispiel Türkei-Politik. Hier formuliert Schulz konkrete Maßnahmen, die er als Bundeskanzler sofort umsetzen würde: Die EU-Kommission dazu bringen, die EU-Beitrittsverhandlungen sofort aufzukündigen. Sich als Bundesrepublik nicht am Nasenring durch die europäische Manege führen zu lassen. Den Flüchtlingspakt mit der Türkei verändern. Merkel ist überrascht, die Journalisten auch. Die allerdings klammern sich an ihre vorbereiteten Fragen. Mit diesen deutlich formulierten Inhalten schärft Schulz sein Profil. Solch starke Aussagen sind ihm bisher nicht über die Lippen gekommen. Merkel macht phasenweise einen konsternierten Eindruck. Ihr Statement als Reaktion auf Schulz, sie wolle die Türkei auch nicht in der EU haben, klingt wenig überzeugend.

Schulz spricht mit seinem Körper. Wenn Merkel redet, wendet er sich ihr zu. Er sieht Merkel an und nutzt - so es ihm die Moderatoren gestatten - jede Gelegenheit, ihre Einschätzungen zu konterkarieren. Merkel hingegen guckt selten zu Schulz ´rüber. Ihre Gestik ist kaum vorhanden, ihre Mimik wirkt eher beleidigt, manchmal verkniffen, ja, sogar verunsichert. Die Mimik verrät: „Mit diesem Schulz hab ich nicht gerechnet!“

Schulz bringt auch Ironie mit ins Spiel – sicherlich eine Gratwanderung, denn zu groß ist die Gefahr, dass sie missverstanden wird. Und selbst wenn sie verstanden wird, birgt Ironie das Risiko, arrogant zu wirken. Schulz setzt die Ironie so ein, dass er souverän wirkt. Beispiel: Merkel beteuert, für die Bürger nicht die „Rente mit 70“ in Betracht zu ziehen. Schulz lächelt süffisant und kommentiert. „So wie Sie bei der vorigen Bundestagswahl die Maut auch nicht haben wollten!“. Die Lacher hat er auf seiner Seite, denn die PKW-Maut ist inzwischen eingeführt. Merkel ist rhetorisch in der Bredouille, sie schlingert.

Merkel wirkt fahl – nicht nur im wortwörtlichen Sinn. Schulz ist angriffslustig, bringt Merkel immer wieder in eine Verteidigungsrolle und zeigt Emotionen. Er ist „wütend“ beim Thema Diesel-Gate. Er erzählt, dass ihn zu Hause neulich ein Handwerker besorgt gefragt habe, ob die Bürger denn auf allen Kosten sitzen bleiben. Schulz erzählt Privat-Persönliches, gibt sich bürgernah. Das ist klug, denn er zeigt damit: Ich weiß, was den Bürger bewegt. Wer genau hinsieht, merkt allerdings, dass dieser rhetorische Kniff in diesem Fall wenig glaubwürdig ist, denn wer kann sich vorstellen, dass ein Kanzlerkandidat drei Wochen vor der Bundestagswahl zu Hause auf einen Handwerker wartet. Hier verspielt er sich auf der Klaviatur des bürgernahen Argumentierens. Doch er hat Glück: Keiner in der Runde entlarvt dies.
Merkel hat den nahezu identischen Redeanteil, doch konkrete Botschaften platziert sie nicht.

Das setzt sich fort bis zum Schluss-Statement der beiden Kontrahenten. Schulz darf als erster. Und spätestens hier zeigt sich, wie gut ihn seine Berater auf dieses TV-Duell, seine letzte Chance, vorbereitet haben. „Wie viel Zeit habe ich?“, fragt Schulz. „60 Sekunden?“ Pause. „In 60 Sekunden verdient eine Krankenschwester 40 Cent“, beginnt er. Dies wirkt spontan, ist es aber– so behaupte ich – nicht. Es ist vielmehr perfekt vorbereitet. Denn Schulz verbindet die Themen Soziale Gerechtigkeit, Sicherheitspolitik, Internationale Politik, Europa so geschickt miteinander, dass es nur vorbereitet sein kann. Aber auch diese Inhalte des (sicherlich) auswendig gelernten Schlusswortes transportiert er rhetorisch gekonnt: Trotz Zeitdrucks setzt er gezielt Pausen, variiert seine Sprechgeschwindigkeit und setzt – mit Blick in die Kamera, schließlich wurde er ja gebeten, sich direkt an den Zuschauer zu wenden – einen fulminanten Schlusspunkt. Merkel wirkt hier besonders schwach und unvorbereitet. Sie bedankt sich bei den „Zuhörern und Zuschauern“ fürs zuhören und zuschauen, und wünscht schließlich noch „einen schönen Abend“.

Fazit: Überraschungssieger Schulz. 3:0 für ihn – er überzeugt inhaltlich, rhetorisch und erweist sich als bestens vorbereitet.

Wahl-Blog 2017: 3:0 für Schulz

Das TV-Duell der Kanzlerkandidaten mit vielen Überraschungsmomenten

Kanzlerin sein ist kein Kindergeburtstag. Auch der Tag der offenen Tür im Kanzleramt ist es nicht: Gefühlte 2677 Selfies mit Besuchern, die auch Wähler sein könnten. CDU-Kanzlerin Merkel hat schon einen trubeligen Tag hinter sich, als sie zum ZDF-Sommerinterview auf Bettina Schausten trifft. Dank des magenta-farbenen Blazers wirkt sie nicht ganz so erschöpft, wie sie nach einem solchen Tag vermutlich ist.

Die Bundestagswahl scheint gelaufen, die Umfragen sehen seit Wochen Kanzlerin Merkel (CDU) vorne und den Herausforderer Martin Schulz (SPD) weit abgeschlagen dahinter. Möglicherweise ist der gestrige 3. September der Wendepunkt. 20.15 Uhr, das 90-minütige TV-Duell: Die beiden Spitzenpolitiker ihrer Parteien stellen sich Fragen der Moderatorinnen (ARD und ZDF) und Moderatoren (RTL und SAT.1).

Das Duell nimmt gleich zu Beginn Fahrt auf. Es gibt kein langes Vorgeplänkel, die Fragen werden zügig gestellt. Schulz ist darauf besser vorbereitet als Merkel. Er nimmt den Schlagabtausch auf, antwortet schnell, inhaltlich präzise, aber die Anspannung ist ihm anzumerken: Er ist sehr kurzatmig; statt ruhig zu atmen, atmet er flach, was dazu führt, dass ihm die Luft mitten im Satz wegbleibt. Auch seine Mimik verrät Nervosität.

Merkel scheint der Fragestil nicht zu behagen. Ihre sonst so gelassene Art lässt sie vermissen; auch ihren Stil, Zusammenhänge geduldig zu erklären. Sie wirkt nervös, was sich darin äußert, dass sie schneller als sonst spricht; sie verhaspelt sich ungewöhnlich oft und formuliert längst nicht so präzise wie Schulz. Bei ihm legt sich die Anspannung nach 20 Minuten. Er arrangiert sich wesentlich schneller mit dem Fragen-Staccato in der sterilen Studio-Situation; er platziert seine Botschaften. Er punktet, indem er Merkel, aber vor allem den Zuschauern deutlich macht, dass seine Politik sich von der Merkels deutlich unterscheidet. Beispiel Türkei-Politik. Hier formuliert Schulz konkrete Maßnahmen, die er als Bundeskanzler sofort umsetzen würde: Die EU-Kommission dazu bringen, die EU-Beitrittsverhandlungen sofort aufzukündigen. Sich als Bundesrepublik nicht am Nasenring durch die europäische Manege führen zu lassen. Den Flüchtlingspakt mit der Türkei verändern. Merkel ist überrascht, die Journalisten auch. Die allerdings klammern sich an ihre vorbereiteten Fragen. Mit diesen deutlich formulierten Inhalten schärft Schulz sein Profil. Solch starke Aussagen sind ihm bisher nicht über die Lippen gekommen. Merkel macht phasenweise einen konsternierten Eindruck. Ihr Statement als Reaktion auf Schulz, sie wolle die Türkei auch nicht in der EU haben, klingt wenig überzeugend.

Schulz spricht mit seinem Körper. Wenn Merkel redet, wendet er sich ihr zu. Er sieht Merkel an und nutzt - so es ihm die Moderatoren gestatten - jede Gelegenheit, ihre Einschätzungen zu konterkarieren. Merkel hingegen guckt selten zu Schulz ´rüber. Ihre Gestik ist kaum vorhanden, ihre Mimik wirkt eher beleidigt, manchmal verkniffen, ja, sogar verunsichert. Die Mimik verrät: „Mit diesem Schulz hab ich nicht gerechnet!“

Schulz bringt auch Ironie mit ins Spiel – sicherlich eine Gratwanderung, denn zu groß ist die Gefahr, dass sie missverstanden wird. Und selbst wenn sie verstanden wird, birgt Ironie das Risiko, arrogant zu wirken. Schulz setzt die Ironie so ein, dass er souverän wirkt. Beispiel: Merkel beteuert, für die Bürger nicht die „Rente mit 70“ in Betracht zu ziehen. Schulz lächelt süffisant und kommentiert. „So wie Sie bei der vorigen Bundestagswahl die Maut auch nicht haben wollten!“. Die Lacher hat er auf seiner Seite, denn die PKW-Maut ist inzwischen eingeführt. Merkel ist rhetorisch in der Bredouille, sie schlingert.

Merkel wirkt fahl – nicht nur im wortwörtlichen Sinn. Schulz ist angriffslustig, bringt Merkel immer wieder in eine Verteidigungsrolle und zeigt Emotionen. Er ist „wütend“ beim Thema Diesel-Gate. Er erzählt, dass ihn zu Hause neulich ein Handwerker besorgt gefragt habe, ob die Bürger denn auf allen Kosten sitzen bleiben. Schulz erzählt Privat-Persönliches, gibt sich bürgernah. Das ist klug, denn er zeigt damit: Ich weiß, was den Bürger bewegt. Wer genau hinsieht, merkt allerdings, dass dieser rhetorische Kniff in diesem Fall wenig glaubwürdig ist, denn wer kann sich vorstellen, dass ein Kanzlerkandidat drei Wochen vor der Bundestagswahl zu Hause auf einen Handwerker wartet. Hier verspielt er sich auf der Klaviatur des bürgernahen Argumentierens. Doch er hat Glück: Keiner in der Runde entlarvt dies.
Merkel hat den nahezu identischen Redeanteil, doch konkrete Botschaften platziert sie nicht.

Das setzt sich fort bis zum Schluss-Statement der beiden Kontrahenten. Schulz darf als erster. Und spätestens hier zeigt sich, wie gut ihn seine Berater auf dieses TV-Duell, seine letzte Chance, vorbereitet haben. „Wie viel Zeit habe ich?“, fragt Schulz. „60 Sekunden?“ Pause. „In 60 Sekunden verdient eine Krankenschwester 40 Cent“, beginnt er. Dies wirkt spontan, ist es aber– so behaupte ich – nicht. Es ist vielmehr perfekt vorbereitet. Denn Schulz verbindet die Themen Soziale Gerechtigkeit, Sicherheitspolitik, Internationale Politik, Europa so geschickt miteinander, dass es nur vorbereitet sein kann. Aber auch diese Inhalte des (sicherlich) auswendig gelernten Schlusswortes transportiert er rhetorisch gekonnt: Trotz Zeitdrucks setzt er gezielt Pausen, variiert seine Sprechgeschwindigkeit und setzt – mit Blick in die Kamera, schließlich wurde er ja gebeten, sich direkt an den Zuschauer zu wenden – einen fulminanten Schlusspunkt. Merkel wirkt hier besonders schwach und unvorbereitet. Sie bedankt sich bei den „Zuhörern und Zuschauern“ fürs zuhören und zuschauen, und wünscht schließlich noch „einen schönen Abend“.

Fazit: Überraschungssieger Schulz. 3:0 für ihn – er überzeugt inhaltlich, rhetorisch und erweist sich als bestens vorbereitet.

Wahl-Blog 2017: Eine griffige Formulierung wird zur Schlagzeile

Wahlforscher Stefan Merz zeigt rhetorische Stärken und Schwächen im Radio-Interview

In der hr-Info-Serie „Das Interview“ war jetzt Stefan Merz zu Gast. Merz ist "Direktor Wahlen" bei Infratest dimap, dem Umfrageinstitut, das die Umfragen und auch die 18 Uhr-Prognosen und späteren Hochrechnungen für die ARD erstellt. Die Interview-Sendung ist knapp 25 Minuten lang. Merz freut sich offenbar auf das Gespräch - das ist an seiner Stimme zu erkennen - und er ist gut drauf.

Gleich zu Beginn wird deutlich, wie sehr Mimik zu hören ist, denn Merz lacht charmant – das macht ihn sympathisch. Gleich auf die erste Frage, ob denn der Wahltag etwas ganz Besonderes für ihn sei, liefert er eine schlagzeilenfähige Antwort: „Ja, Wahlabende sind so etwas wie eine Heilige Messe“. Prägnant. Aussagekräftig. Auf den Punkt. Kein Wunder, dass dieser Satz später bei „hr online“ in einem Bericht über das Gespräch als Headline übernommen wird.

Merz hat eine relativ hohe Sprechgeschwindigkeit, aber er formuliert leicht verständlich. Es ist kein Problem ihm zu folgen. Die Frage, was der Unterschied zwischen Umfrage, Prognose und Hochrechnung ist, hätte Merz erwarten können. Doch hier formuliert er verquast und nicht trennscharf. Erstaunlich, denn dies ist ja sein Tagesgeschäft. Vermutlich können ihm an der Stelle nur bereits informierte Hörer folgen. Besser kein oder nur relativ wenig Wissen voraussetzen, ist dann die bessere Strategie. Und innerhalb eines solchen Radio-Interviews nicht nur an die unmittelbaren Gesprächspartner denken – den oder die Interviewer -, sondern an die Hörer der Sendung. Erst auf Nachfrage bringt er den Unterschied zwischen Umfrage vor der Wahl und Prognose deutlich auf den Punkt. Sehr geschickt ist, dass er bei dem wichtigen Satz, die Erhebungen vor der Wahl seien ja nur Stimmungen in der Bevölkerung und keine konkreten Prognosen, seine Sprechgeschwindigkeit verlangsamt. Dadurch bekommen seine Worte ein zusätzliches Gewicht.

Unscharf bleibt Merz auch bei einer interessanten Frage der Journalistin, ob die Prognose denn nur das Auswerten von Daten sei. Er habe mal gesagt, es gehe unmittelbar vor der 18 Uhr-Prognose auch ums Knobeln. In der Tat eine Frage, die aufhorchen lässt und auf die Merz vorbereitet sein muss, denn dieser Begriff ist offenbar im Vorgespräch gefallen. Umso erstaunlicher, dass Merz hier völlig unklar bleibt. Es gebe keine Zauberformel, aber viele Daten, die ausgewertet werden, und es bedarf auch einer gewissen Erfahrung. Aha, aufgrund der „Erfahrung“ werden die konkreten Prognosedaten ermittelt? Hier verliert Merz seine Zuhörer, denn er bleibt unklar. Eine Boulevard-Zeitung hätte aus dieser schwachen Antwort eine Schlagzeile kreiert: „ARD: Die Wahl-Prognose wird geknobelt!“

Die Methode von Befragungen erklärt Merz unmotiviert; er wirkt unkonzentriert, fast gelangweilt. Seine Spannung in der Stimmung fehlt, wobei das für die Hörer ja interessant ist zu erfahren, wie die Erhebungen zustande kommen. Ein einziger Satz bleibt hängen: „Der Zufall braucht seinen Raum.“ Bitte was?
1000 Befragte stehen für 60 Millionen Wahlberechtigte - wie ist bei all den Zufälligkeiten gewährleistet, dass die Umfragen repräsentativ sind? Und wieder fällt der Satz: Dem Zufall Raum geben. Und es folgt keine erhellende Erklärung. Vertane Chance!

Die auflockernden Elemente wie das Auspacken einer Tüte mit Überraschungen meistert Stefan Merz charmant und locker, aber als gefragt wird, welche Koalition seiner Meinung zustande kommt, gerät Merz wieder ins Trudeln. Dies liegt aber diesmal nicht an ihm, sondern an der falschen Frage. Dies ist keine Frage für einen Wahlforscher. Recht spät bekommt er die Kurve: „Die Frage ist nicht von den Demoskopen zu beantworten, sondern von den politischen Akteuren.“ Richtig.

Und jetzt kommen die kritischen Fragen: Trumps Wahlsieg hätten die Wahlforscher nicht vorausgesagt, auch beim Brexit hätten sie danebengelegen. Das Abschneiden der SPD bei Landtagswahlen in NRW, im Saarland und in Schleswig-Holstein sei falsch prognostiziert worden.
Merz verliert an Lockerheit, seine Stimme verrät Anspannung. Es gebe viele verschiedene Dinge, die hier wichtig seien. Wieder beruft er sich auf den Unterschied zwischen Umfrage und Prognose. Ansonsten nennt er keine weiteren Argumente – obwohl er „viele“ angekündigt hatte. Eine Frage, mit der er hätte rechnen können, nein, müssen. Bei dem Thema „Parteien kaufen sich für sie genehme Umfragen“ kontert Merz stark: „Wir arbeiten nur für Medien, nicht für Parteien.“

Fazit: Merz wirkt sympathisch und grundsätzlich kompetent. Er zeigt aber durchaus schwache Phasen, was die Vermutung nahe legt, dass er sich auf das Interview nicht gut vorbereitet hatte. Seine Kernbotschaften hätte er schärfer formulieren sollen – doch über die hatte Merz vermutlich vorher nicht nachgedacht.

Wahl-Blog 2017: Elefantenrunde mit Terrier-Effekt

Blitz-Talk mit den Spitzenkandidaten nach der NRW-Wahl - eigentlich ein Ritual, doch diesmal nicht.

Alle Wahlen wieder – erst um 19 Uhr im ZDF, dann um 20 Uhr das Ritual "Elefantenrunde" in der Tagesschau. An diesem Wahlabend leitet Frank Plasberg das nur wenige Minuten lange Gespräch mit fünf Politikern. Und stellt Fragen, die offenbar herausfordernd sind. Hannelore Kraft (SPD), die bereits zurückgetretene Ministerpräsidentin, lässt sich mit der eher überraschenden Frage, ob sie mit ihrem Rücktritt dem SPD-Kanzlerkandidaten Schulz einen Dienst erwiesen habe, nicht aus der Ruhe bringen. Sie kontert gelassen, sie müsse Schulz keinen Dienst erweisen und schwenkt dann genau auf das um, was sie sich offenbar vorgenommen hatte zu sagen.

Kurz-Interviews bedeutet: Auf die Frage eingehen, aber auch die Botschaften platzieren, die in wenigen Sekunden Redezeit möglich sind. Das macht Kraft professionell. Ihre Stimme ist gewohnt ruhig, kraftvoll, und sie wirkt fast schon (zu?) fröhlich und gut drauf. Ist sie noch im Wahlkampf-Modus (Zuversicht verbreiten) und noch nicht in der Realität (Wahldebakel) angekommen? Ein guter Journalist spürt so etwas - und zack, Plasberg fragt nach. Ob sie sich sogar freue, Politik mit Abstand sehen zu können. Und zum ersten Mal ist leichte Verunsicherung bei Kraft zu spüren. Nein, sie sei traurig, dass viele ihrer Parteifreunde nun kein Mandat erhielten. Die Kurve hat Kraft so eben noch bekommen, aber überzeugt hat sie mit der Antwort nicht. Es bleibt der Eindruck, Plasberg lag mit seiner Vermutung richtig. Und dies zeigt, dass Krafts Mimik, Gestik und Stimme in diesem Punkt überzeugender waren als ihre formulierten Inhalte.

Auch FDP-Chef Christian Lindner ist - wie Kraft - offenbar noch im Wahlkampf-Modus. Wie ein Terrier reklamiert er den größten FDP-Erfolg aller Zeiten in NRW - keiner hatte diesen Erfolg klein reden wollen. Warum dieser verzweifelt kämpferische Ton? Lindner wirkt kratzbürstig, was darin gipfelt, dass er in Frage stellt, ob die FDP denn überhaupt Teil einer Koalition mit der CDU werden wolle. Zum Erstaunen aller. Wahlkampfgetöse nach dem Wähler-Votum? Lindner wirkt angestrengt und alles andere als ein strahlender Sieger, der seiner Freude freien Lauf lässt und souverän artikuliert.

Die Kandidaten der Grünen und der AfD, Löhrmann und Pretzel, kommen auch noch zu Wort. Vermutlich spüren sie das baldige Ende der Runde. Beide antworten kurzatmig und gehetzt. Löhrmann hat - wie sie sagt - keine Fehler gemacht. Die Themen wie Inklusion seien halt große Herausforderungen. Und Pretzel ist ungewohnt kleinlaut; er bezeichnet den Einzug ins Parlament als gerade noch rechtzeitige Trendwende vor der Bundestagswahl.

Was war da los in Düsseldorf? Ein Sieger, der verbissen wirkt. Eine Verlierern, die bestens gelaunt scheint. Und Fragen, die hart, aber fair sind. Ein Ritual mit nicht ritualisiertem Verlauf.

Wahl-Blog 2017: Elefantenrunde mit Terrier-Effekt

Blitz-Talk mit den Spitzenkandidaten nach der NRW-Wahl - eigentlich ein Ritual, doch diesmal nicht.

Alle Wahlen wieder – erst um 19 Uhr im ZDF, dann um 20 Uhr das Ritual "Elefantenrunde" in der Tagesschau. An diesem Wahlabend leitet Frank Plasberg das nur wenige Minuten lange Gespräch mit fünf Politikern. Und stellt Fragen, die offenbar herausfordernd sind. Hannelore Kraft (SPD), die bereits zurückgetretene Ministerpräsidentin, lässt sich mit der eher überraschenden Frage, ob sie mit ihrem Rücktritt dem SPD-Kanzlerkandidaten Schulz einen Dienst erwiesen habe, nicht aus der Ruhe bringen. Sie kontert gelassen, sie müsse Schulz keinen Dienst erweisen und schwenkt dann genau auf das um, was sie sich offenbar vorgenommen hatte zu sagen.

Kurz-Interviews bedeutet: Auf die Frage eingehen, aber auch die Botschaften platzieren, die in wenigen Sekunden Redezeit möglich sind. Das macht Kraft professionell. Ihre Stimme ist gewohnt ruhig, kraftvoll, und sie wirkt fast schon (zu?) fröhlich und gut drauf. Ist sie noch im Wahlkampf-Modus (Zuversicht verbreiten) und noch nicht in der Realität (Wahldebakel) angekommen? Ein guter Journalist spürt so etwas - und zack, Plasberg fragt nach. Ob sie sich sogar freue, Politik mit Abstand sehen zu können. Und zum ersten Mal ist leichte Verunsicherung bei Kraft zu spüren. Nein, sie sei traurig, dass viele ihrer Parteifreunde nun kein Mandat erhielten. Die Kurve hat Kraft so eben noch bekommen, aber überzeugt hat sie mit der Antwort nicht. Es bleibt der Eindruck, Plasberg lag mit seiner Vermutung richtig. Und dies zeigt, dass Krafts Mimik, Gestik und Stimme in diesem Punkt überzeugender waren als ihre formulierten Inhalte.

Auch FDP-Chef Christian Lindner ist - wie Kraft - offenbar noch im Wahlkampf-Modus. Wie ein Terrier reklamiert er den größten FDP-Erfolg aller Zeiten in NRW - keiner hatte diesen Erfolg klein reden wollen. Warum dieser verzweifelt kämpferische Ton? Lindner wirkt kratzbürstig, was darin gipfelt, dass er in Frage stellt, ob die FDP denn überhaupt Teil einer Koalition mit der CDU werden wolle. Zum Erstaunen aller. Wahlkampfgetöse nach dem Wähler-Votum? Lindner wirkt angestrengt und alles andere als ein strahlender Sieger, der seiner Freude freien Lauf lässt und souverän artikuliert.

Die Kandidaten der Grünen und der AfD, Löhrmann und Pretzel, kommen auch noch zu Wort. Vermutlich spüren sie das baldige Ende der Runde. Beide antworten kurzatmig und gehetzt. Löhrmann hat - wie sie sagt - keine Fehler gemacht. Die Themen wie Inklusion seien halt große Herausforderungen. Und Pretzel ist ungewohnt kleinlaut; er bezeichnet den Einzug ins Parlament als gerade noch rechtzeitige Trendwende vor der Bundestagswahl.

Was war da los in Düsseldorf? Ein Sieger, der verbissen wirkt. Eine Verlierern, die bestens gelaunt scheint. Und Fragen, die hart, aber fair sind. Ein Ritual mit nicht ritualisiertem Verlauf.

Meisterstück politischer Kommunikation?

Für ein „ Meisterstück der politischen Kommunikation“ hält die SZ-Autorin Lara Fritzsche das Verhalten von Volker Beck, nachdem er vor genau einem Jahr mit harten Drogen in eine Polizeikontrolle geraten war. Einspruch, Lara Fritzsche!

Im SZ-Magazin vom 4. März (Nr. 9/2017) portraitiert Lara Fritzsche Volker Beck, den Bundestagsabgeordneten der Grünen und früheren innenpolitischen Sprecher. Vor genau einem Jahr wurde Beck mit harten Drogen von der Polizei festgehalten. Beck stellte sich den Behörden, aber nicht der Öffentlichkeit. Er taucht ab, lässt sich krankschreiben und kehrt erst nach sechs Wochen in den Bundestag zurück. In einer Presseerklärung gibt er sich wortkarg. Die SZ-Autorin Lara Fritzsche kommt zu dem Schluss, dass dieses Vorgehen ein Meisterstück der Kommunikation war. Ist es das wirklich?

Nein, es ist kein kommunikatives Meisterstück, einfach abzutauchen, der Öffentlichkeit eine Erklärung vorzuenthalten, die Licht ins Dunkel bringt. Ja, Beck kann in seiner Freizeit tun und lassen was er will. Aber auch das, bitteschön, kann, nein, MUSS er unmittelbar nach dem Vorfall klarstellen. Ansonsten setzt er seine Glaubwürdigkeit , Authentizität und Integrität aufs Spiel.

Genau mit diesem Vorurteil hat die Zunft der Kommunikationstrainer immer wieder zu kämpfen. Wie oft wird ihr unterstellt, dass sie ihren Klienten rät, sich so zu verhalten, dass es ausschließlich den eigenen Vorteilen – denen des Klienten – nutzt? Die Losung „Keine Rücksicht auf andere – weder auf Kollegen noch die Öffentlichkeit“, also „Me first“ ist keine gute Kommunikationsstrategie.

Becks Strategie war die von Vogel Strauß: Kopf in den Sand, nichts hören, nichts sehen, abwarten. Eine Art von Kommunikation, die keinem hilft. Beck am wenigsten. „Abtauchen ist eine aufwendige Sache.“, konstatiert Fritzsche. Regungslos zu bleiben, tatenlos und unbemerkt, sei eine große Anstrengung. Warum hat Beck sich denn versteckt, statt in die Offensive zu gehen und die Kommunikation als aktiv Handelnder zu steuern?

„Er hat keine Parteikollegen eingeweiht, schon gar nicht die Fraktionsspitze.“, heißt es. Kommunikationsfehler Nummer zwei: Nicht nur bei eitel Sonnenschein sollte geredet, sondern gerade in einer Krisensituation muss zielorientiert kommuniziert werden. Und zwar zum Schutz des Betroffenen! Dass diejenigen, die Beck nicht eingeweiht hat, heute noch mit ihm zusammenarbeiten, grenzt an ein Wunder. Wer in der Fraktionsspitze fühlt sich bei dieser Beck´schen Kommunikation nicht hintergangen?

Die SZ-Analyse der Kommunikationsstrategie gipfelt in der Formulierung, Beck „habe neben aller Strategie er selbst sein wollen“. Indem er andere linkt? Wie kann ich glaubwürdig bleiben und mir treu sein, wenn ich anderen die Möglichkeit nehme, sich ein annähernd objektives Bild der Wahrheit zu machen?

„Becks Strategie im Drogenskandal funktionierte deshalb so gut, weil er sich nicht so verhält, wie er ist, also nicht laut, nicht spitzfindig, sondern er verhält sich gar nicht.“ Das ist Kommunikation von vorgestern und Wasser auf die Mühlen all derer, die à la Trump und Erdogan kommunizieren: Sie schaffen sich ihre (eigenen) „alternativen Fakten“, indem sie sich gar nicht verhalten, die Fragen anderer ignorieren und ein Miteinander torpedieren.

Ob die Strategie sich für Beck tatsächlich ausgezahlt hat, bleibt eine offene Frage mit einem übergroßen Fragezeichen. Seine Reputation innerhalb der eigenen Fraktion wird sich massiv verringert haben. Seine politische Schlagkraft hat er verloren.

Ein professioneller Kommunikationsberater hätte Beck geraten, sich sofort zu erklären und der Öffentlichkeit, aber auch Partei- und Abgeordneten-Kollegen die Chance zu geben zu erfahren, was passiert ist, wie er damit umzugehen und welche Konsequenzen er zu ziehen gedenkt. Sachlich, nüchtern, vielleicht auch emotional – und zwar so, dass der Betroffene sich selbst dabei gut fühlt. Und die andere Seite weiß, was Sache ist. Erst dann wird nicht mehr nachgefragt und erst dann gibt die Presse Ruhe.

Ergo: Schnell handeln, glaubwürdig agieren, nachvollziehbar erläutern – das ist das Geheimnis gelungener Kommunikation, nicht das verunsicherte Abtauchen und angstvolle Abwarten.

Ein Gegenbeispiel: Margot Käßmann. Sie hat nach einem weitaus geringeren Vorfall alle Konsequenzen gezogen. Sofort. Das hat ihr größten Respekt eingebracht. Gerade weil sie authentisch gehandelt hat und sich der Öffentlichkeit als verletzlich, also menschlich, gezeigt hat, ist sie auch heute noch sehr geachtet - vielleicht sogar mehr denn je.

Schulz statt Gabriel

5 kritische Fragen - 5 souveräne Antworten

Ein Paukenschlag sei es, so die Moderatorin der ARD-Sondersendung „Brennpunkt“, dass der amtierende SPD-Chef Sigmar Gabriel Martin Schulz den Vortritt als Parteichef und Kanzlerkandidat lässt. Weniger die Entscheidung als solche war ein Paukenschlag, schon eher, dass Gabriel diese Info dem „stern“ steckt, bevor er Fraktion und Partei darüber in Kenntnis setzt. Zündstoff für einen Brennpunkt - und so sind die Fragen an den stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Ralf Stegner auch eher gegen den Strich gebürstet: „Was ist da schief gelaufen?“ „Das ist ja ein ziemliches Chaos.“ „Die Menschen sind auf 180.“ „Gabriel hatte schlechte Umfragewerte.“ „Was kann Schulz besser als Gabriel?“

Der Moderatorin gegenüber steht ein Stegner, der nur so strotzt vor Selbstbewusstsein, Souveränität und Schlagfertigkeit. Er fühlt sich durch die Fragen offensichtlich alles andere als bedrängt, im Gegenteil. Er hat Spaß daran, seine Botschaften zu platzieren. Was nach dem Interview beim Zuschauer hängenbleibt, ist der Eindruck: Ja, die Entscheidung war offenbar richtig. Wie sie zustande gekommen ist, ist eigentlich egal, denn das Ergebnis zählt. Und: Stegner kommt sympathisch, souverän und - auf die Bundestagswahl bezogen - siegessicher daher.

So überzeugend, dass die Moderatorin mit ihren Fragen schon fast hilflos wirkt, denn bei jeder Frage scheint Stegner zu punkten. Scheint. Denn genaugenommen hat Stegner die Fragen nur im Ansatz beantwortet und stattdessen seine Botschaften gesetzt.

Auf die erste Frage, was schief gelaufen sei, sagt Stegner relativ lässig, die Öffentlichkeitsarbeit habe vielleicht nur einen Punkt verdient, aber das Ergebnis sei gut und richtig.
Zweite Frage bzw. Feststellung: Fraktions- und Parteimitglieder sind auf 180! Stegner: Das sei in drei Tagen vergessen. Wichtig sei es, in acht Monaten die Bundestagswahl zu gewinnen. Schon fast etwas hemdsärmelig geantwortet, aber warum nimmt keiner Stegner diese Antwort krumm? Weil er Sympathiepunkte sammelt. Er strahlt, seine Mimik und Gestik kommuniziert positiv mit. Seine Formulierungen sind verständlich, wenn auch die Sprechgeschwindigkeit grenzwertig hoch ist.
Die dritte Frage bzw. der Hinweis, dass Gabriels Umfragewerte schlecht seien, kontert Stegner mit einer Lobeshymne auf Gabriels Leistung in den vergangenen Jahren.
Viertens: Die Aufforderung, Gabriel und Schulz zu vergleichen. Stegner geht ausschließlich auf die Vorzüge von Martin Schulz ein, ohne dass es wie eine Abwertung Gabriels wirkt. Die fünfte und letzte Frage: die nach der Personal-Rochade. Warum Gabriel Außenminister werden soll? Antwort: Weil der amtierende Außenminister (SPD) Bundespräsident wird. Und jetzt strahlt sogar die Moderatorin mit Stegner um die Wette.

1:0, Herr Stegner. Kritische Fragen perfekt gekontert- mit rhetorisch legitimen Mitteln, aber auch durch Ausstrahlung und ein gesundes Maß an Lockerheit.

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In der Sachlichkeit liegt die Stärke

Wie sich mit provokativen Fragen umgehen lässt

Der stellvertretende Fraktionschef der SPD im Bundestag, Hubertus Heil, im WDR-Hörfunk. Konfrontiert wurde er mit dem überraschenden Rückwärts-Salto von SPD-Chef Gabriel in Sachen TTIP. Vor knapp zwei Jahren – so der WDR-Moderator in der Anmoderation des Gesprächs mit Heil - habe Gabriel erklärt, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA müsse klappen, sonst „werden uns unsere Kinder und Enkel für eine ängstliche und ideologische Debatte verfluchen“. Und jetzt erkläre Gabriel: TTIP ist tot!

Darauf wird Heil vorbereitet gewesen sein, und so erläutert er sachlich, faktisch, nüchtern, aber durchaus lebhaft und inhaltlich nachvollziehbar, dass sich mit den USA in drei Jahren und 14 Verhandlungsrunden nichts bewegt habe und es unrealistisch sei, dass sich bis November noch etwas bewegen wird. Man müsse nun vom totgerittenen Pferd absteigen.

Der WDR-Journalist hakt nach, stellt eine legitime, aber provokative Frage: „Bei allem Respekt: Welcher Wähler soll das [gemeint ist Gabriels Sinneswandel] ernst nehmen?“

Heil kontert ruhig; Gabriel habe schon vor längerem darauf hingewiesen, dass die Zeit ticke; er belegt dies.

Heil kontert ruhig; Gabriel habe schon vor längerem darauf hingewiesen, dass die Zeit ticke; er belegt dies.

Die nächste Frage wirkt wieder wie eine Provokation, denn der Moderator formuliert die These eines Kollegen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Gabriel opfert TTIP, um CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, parteiintern durchzuboxen.

Heil spricht von zwei Paar Schuhen: Bei TTIP gebe es keine Annäherung, mit CETA liege ein gut verhandelter Vertrag auf dem Tisch. Es folgen nachvollziehbare Argumente.

Der WDR-Moderator zieht die Daumenschrauben weiter an und unterstellt einen Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2017 und den aktuell anstehenden Landtagswahlen. Subtext: Gabriel vollzieht diese Kehrtwende aus wahltaktischen Gründen.

Heil hält kurz inne, wechselt die Ebene, indem er die Frage hinterfragt, um aber kurz darauf von selbst wieder auf die inhaltlich argumentative Ebene zurückzukommen. Heil wörtlich:

"Wissen Sie was? Manchmal muss man auch im Gespräch mit Journalisten als Politiker Wert darauf legen, dass wir uns für die Sache interessieren. Und Sie unterstellen in jeder Frage einen taktischen Hintergrund. Es geht für die SPD tatsächlich darum, dass wir inhaltlich unsere Maßstäbe anlegen werden an den vorliegenden Text. […] Ich finde es nicht statthaft, ständig zu unterstellen, dass Politiker […] alles, was sie machen, nur aus taktischen Gründen machen. Das finde ich unangemessen.“

Die Sprechgeschwindigkeit hat leicht zugenommen, aber die Stimme bleibt ruhig. Heil hat bewusst eine Zäsur gesetzt, pocht darauf, die Ernsthaftigkeit von Politikern nicht immer grundsätzlich in Frage zu stellen - und das zu Recht! Was macht der Journalist? Er hakt nach, setzt hier und da einen Stachel – auch das zu Recht, schließlich ist dies seine Aufgabe.

Dass Heil sich nicht provozieren lässt, sondern jede noch so stichelige Frage konsequent durch Sachlichkeit und Informationen konterkariert, ist die eigentliche Stärke des Interviews. Was bleibt, ist die Aufklärung in Sachen „Verhandlungsstand TTIP und CETA“. Was bleibt, ist, dass der Hörer nun Verständnis für den vermeintlichen Gabriel-Salto hat. Was bleibt, ist, dass Heil als authentisch und „ehrlich“ wahrgenommen wird, der in der Lage ist, seinen Standpunkt deutlich zu machen, ohne sein Gegenüber anzugreifen. Die Botschaften sind transportiert, die Sympathiewerte für Heil eher gestiegen. Das nennen wir „gelungene Kommunikation“.

Aufpassen bei der Wortwahl!

Ich formuliere etwas, was ich denke, aber eigentlich nicht hätte sagen sollen – das wird gerne als Freud´scher Versprecher bezeichnet. Da bricht sich etwas aus den Tiefen des Empfindens Bahn und sprudelt heraus, bevor mir klar wird, dass es wenig diplomatisch war oder nicht politisch korrekt ist. Meist geschieht dies im Affekt. Und gerade deswegen ist oft die Reaktion der anderen: Interessant, so denkt der also wirklich, aber… Schwamm drüber.

Was aber, wenn einer Bundesbehörde ein solcher Fauxpas passiert und hier sogar nicht entschuldigend von einem Affekt die Rede sein kann, weil diese Freud´sche Fehlleistung schriftlich fixiert ist?!

Nehmen wir zum Beispiel die Minijob-Zentrale. In einem offiziellen Standard-Schreiben heißt es: „Sofern Sie keine geringfügigen Arbeitnehmer mehr beschäftigen, teilen Sie uns dies bitte mit.“ Ich lese zweimal, dreimal – und traue meinen Augen nicht. Steht da wirklich etwas von „geringfügigen Arbeitnehmern“?

Ein Adjektiv beschreibt – so lernt man es hoffentlich auch heute noch in der Schule – das nachfolgende Bezugswort näher. Die Beschäftigung des Arbeitnehmers ist geringfügig, aber doch nicht der Arbeitnehmer selbst. Ich unterstelle, dass dies auch gemeint ist, aber warum wird es dann nicht so geschrieben? Ein Freud´scher Verschreiber? Hält die Bundesbehörde die Minijobber für geringfügiges Klientel? Wohl kaum, aber dann bitte auch nicht so formulieren! Und schon gar nicht in einem offiziellen, standardisierten Schreiben, das vermutlich täglich in hoher Auflage verschickt wird!

Der Duden definiert „geringfügig“ mit unbedeutend, nicht ins Gewicht fallend, belanglos. So gesehen ist sogar die allseits übliche Formulierung „geringfügige Beschäftigung“ politisch nicht korrekt und verbietet sich.

Kommen Sie auf den Punkt, Herr Steinmeier!

Was Formulierungen mit Imagegewinn zu tun haben

Er taucht immer und überall auf: Der amtierende Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ein gefragter Mann. Auch diesmal wieder: Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras, der als pro-russisch gilt, musste auf Kurs gebracht werden. Denn es ging in Brüssel mal wieder um Einigkeit mit Blick auf EU-Sanktionen gegen Russland. Die News des Tages war: Tsipras unterstützt die Sanktionen. Das, was der deutsche Außenminister in die internationalen Mikrofone im Originalton sagte, war dieser Satz:

"Jedenfalls ist es am Ende und… ähm… nach... ähm… einer Diskussion über Formulierungen, die dann am Ende von allen akzeptiert werden konnten, gelungen, den griechischen Kollegen davon zu überzeugen, den jetzt vorgelegten Text, der Ihnen jetzt gleich zugeht, mitzutragen.“

Ein Satz, der sich wie Kaugummi zieht. Die Stimme geht am Ende des zitierten Statements nach oben, was heißt, dass der Satz bei der Pressekonferenz sogar noch in die Verlängerung ging. Der O-Ton wird in dem Tageschau-Beitrag an der Stelle abgeschnitten, der Zuschauer mit weiteren unwichtigen Details verschont. Sendezeit: 21 Sekunden – immerhin fast 25 Prozent der Länge eines durchschnittlichen Tagesschaubeitrags. Sendezeit, die überzeugender hätte genutzt werden können. Nun muss Herr Steinmeier nicht um mediale Aufmerksamkeit buhlen - die ist ihm qua seines Amtes sicher. Dennoch sollte er das Wesentliche auf den Punkt bringen. Aus inhaltlichen und eigennützigen Gründen – und dies gilt für jeden, der Gehör haben und mit seinen Botschaften ankommen möchte. Nach dem oben zitierten Satz, bleibt bei jedem Zuhörer und Zuschauer hängen: Oh je, wie langwierig und wie langweilig! Und das, obwohl die Botschaft eine wichtige war: Der selbst ernannte Quertreiber in der EU hat in seiner ersten politischen Entscheidung auf EU-Ebene Schulterschluss bewiesen. 1:0 für die EU. Genau das wäre die Botschaft gewesen, die Steinmeier hätte transportieren müssen. Und zwar gut gelaunt. Stattdessen formuliert er fahrig, pomadig und wirkt gelangweilt.

Wie es besser geht, beweist in der gleichen Tagesschau-Sendung der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz. Er spricht Klartext, wie die EU gedenke, mit Tsipras umzugehen:

"Die große Gefahr ist dabei, dass man ihm Versprechungen macht, die man nicht halten kann. Eine Versprechung, die man nicht halten kann, ist, dass man sagt: „Wir geben euch Geld.“, aber man hat das Geld nicht und hofft darauf, man bekommt es von anderen. Da genau lag eine gewisse Befürchtung und liegt auch immer noch eine gewisse Befürchtung.“

Auf den Punkt formuliert – in 16 Sekunden! Anschaulich. Verständlich. Nachvollziehbar. Was „hängenbleibt“ ist: Der Mann weiß, wovon er spricht; er ist kompetent. Imagegewinn!

Ergo: Nicht drumherum reden, sondern geradlinig. Botschaften klar verständlich formulieren. Aktiv und kraftvoll sprechen. So kommen die Botschaften an. Das eigene Image profitiert ganz nebenbei.

Bitte lächeln, Herr Gabriel

(Halb) Europa hat gewählt – und in den Statements der Politiker jeglicher Couleur ist vielleicht ein Grund für die Wahlmüdigkeit zu finden. Positiv denken falsch verstanden. Und der SPD-Chef muss wohl erst noch siegen lernen...

Europa hat gestern gewählt – oder besser gesagt: halb Europa. Die Wahlbeteiligung lag unter 50%. Und der Wahlsonntagabend im Fernsehen läuft nach den immer gleichen Regularien mit dem immer ähnlichen Procedere ab: 18 Uhr Wahlprognose, wenige Minuten später die erste Hochrechnung. Und die hat diesmal Substanz und Aussagekraft. Sie schlägt sofort ins Kontor jeder Partei. Innerhalb weniger Minuten ist die Wahl analysiert: Schlappe für CDU/CSU, Gewinne für die SPD, nichts Neues von der FDP, die Grünen hat´s erwischt und die AfD ist drin. 

Was nun folgt sind die zahlreichen Politiker-Stimmen. Und auch hier: Die faktischen Verlierer wollen nicht verloren haben. Die Gewinner – und das ist wirklich neu, Herr Gabriel – tun so als hätten sie nichts gewonnen, zumindest wirkt es so. SPD-Chef Sigmar Gabriel tritt kurz nach der ersten Hochrechnung mit dem europäischen Spitzenkandidaten Martin Schulz vor die Mikrofone des Willy-Brandt-Hauses. Jubel, zu dem die SPD lange keinen Anlass mehr hatte, erfüllt das Foyer. Martin Schulz freut sich sichtlich – darf aber nichts sagen. Stattdessen spricht Herr Gabriel zu den Genossen und kostet die Ovationen aus. Gabriel weist auf die Grundsätze der europäischen Politik hin, die sich die SPD auf die Fahnen geschrieben hat. Martin Schulz freut sich sichtlich – darf aber nichts sagen. Der Erfolg habe einen Namen, ruft Gabriel aus: „Martin Schulz!“. Jubel brandet wieder auf! Geklatsche! Gejohle! Die Führungskamera schwenkt von Gabriel auf Schulz. Martin Schulz freut sich sichtlich – darf aber nichts sagen. Denn Gabriel genießt diesen politischen Erfolg und weidet ihn aus. Verständlich, aber egoistisch. Denn die Genossen wollen den Wahlsieger hören. Gabriel gefällt sich offensichtlich in der Rolle des toughen Siegers. „Ich hab´s doch immer gesagt! Die Menschen wollen die SPD!“ – das zumindest ist der Subtext. Sein Auftritt ist einerseits stark – stimmlich präsent und inhaltlich bestens vorbereitet, aber er wirkt auch gekünstelt. Warum? Weil es eine Divergenz gibt zwischen dem, WAS er sagt, und dem, WIE er es sagt! Er spricht von Erfolgen, aber seine Mimik ist ernst. Er spricht von Freude, seine Mimik ist starr und wirkt fast verbittert. Kein Lächeln, kein Augenzwinkern, keine emotionale Regung, keine sichtbare Freude.

Das ZDF schaltet von Berlin wieder zurück in die Sendezentrale, um die aktuelle Hochrechnung zu vermelden. Und dann folgen der Reihe nach Politiker jeder Couleur, die ihr noch so mäßiges Abschneiden positiv interpretieren. Der CDU-Spitzenkandidat McAllister habe sein Wahlziel erreicht, denn die EVP werde in Brüssel stärkste Kraft. Ähnliches reklamiert der FDP-Spitzenkandidat Graf Lambsdorff als seinen Erfolg: Die Liberalen seien drittgrößte Fraktion im Parlament. Die persönlichen Ziele der deutschen Spitzenkandidaten sind über Nacht offenbar bescheiden geworden. AfD-Chef Lucke bezeichnet seine Partei als „Volkspartei“. Das ist man mit 7%? Die Grünen lesen aus ihren Verlusten das Signal, Europa wolle eine ökologische Kraft. Und CDU-Generalsekretär Tauber ist froh, dass die proeuropäischen Parteien die Oberhand behalten haben. Sorry, aber alles andere wäre auch mehr als überraschend gewesen. Auch der Linke Bartsch ist „wahnsinnig stolz“ auf das Ergebnis seiner Partei. Sie hat – wohlbemerkt – Verluste hinzunehmen. So sind alle zufrieden. Jeder hat seine Ziele erreicht – zumindest aus Politikersicht. Aber nicht aus Wählersicht. Die merken, dass weichgespült wird und aus dem größten Verlust noch etwas vermeintlich Positives gezogen wird. Das wirkt aufgesetzt und ist nicht authentisch. Vielleicht ist gerade diese „Interpretationsflexibilität“ unserer Volksvertreter der Grund dafür, dass nicht ´mal jeder zweite Wahlberechtigte gewählt hat.

Apropos, auch sprachlich ging´s an dem Wahlabend manchmal drunter und drüber oder besser: voll daneben. Das Politiker-Statement des Tages formuliert CSU-Generalsekretär Scheuer: „Wir haben unsere Wähler nicht zur Urne gebracht“. Das käme ja auch fast einer Sterbebegleitung gleich. Oder wollte er damit nur sagen: Da die Wählerschaft so klein ist, hätte seine Partei Fahrdienste zu den Wahllokalen anbieten sollen? Stell´ dir vor, es ist Europawahl und keiner geht hin. Keine Vision, sondern Realität. Stell´ dir vor, nach der Wahl sprechen Politiker Klartext und zeigen Emotionen. Keine Realität, sondern Vision.